Sigfried d. Starke
Gast
Weltweite Internetgesetze
US-Konzerne lassen das Netz zensieren
Von Christian Stöcker
Wikipedia-Entwurf: So könnte die Startseite des Mitmachlexikons am Mittwoch aussehenZur Großansicht
Wikipedia-Entwurf: So könnte die Startseite des Mitmachlexikons am Mittwoch aussehen
Zwei US-Gesetzentwürfe zur Internetkontrolle sind so umstritten, dass nun sogar Wikipedia in Streik tritt. Die größte Lobby für mehr Netzzensur ist dabei die US-Unterhaltungsbranche. Sie macht sogar weltweit Druck auf ausländische Regierungen - mit rabiaten Mitteln, mit Hilfe der US-Regierung.
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Die in den USA derzeit so umstrittenen Gesetzesvorhaben mit den Kürzeln Sopa und Pipa sind Wunschkinder. Für ihre stolzen Eltern ist der heftige Widerstand gegen die sehr weitgehenden Regelungen, die der Bekämpfung von Raubkopien im Internet dienen sollen, schmerzhaft. Die stolzen Eltern sind nicht etwa die Politiker Lamar Smith (Republikaner, Abgeordneter im Repräsentantenhaus) und Patrick Leahy (Demokrat, Senator), die Sopa und Pipa vorgeschlagen haben. Sondern die Branchenverbände der Unterhaltungsindustrie, denen Firmen wie Sony, Warner oder Universal angehören.
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Die derzeit weltweit größten Anstrengungen zur Umgestaltung des Netzes haben nichts mit Kinderpornografie zu tun, mit Internetkriminalität, Viren oder Hackerattacken - sondern mit der Benutzung von Tauschbörsen, Streaming-Sites und Downloadplattformen. Die Recording Industry Association of America (RIAA), die Motion Picture Association of America (MPAA) und die Entertainment Software Association (ESA) sind seit Jahren damit beschäftigt, Gesetze durchzudrücken, mit denen auf grundlegende Weise in die Architektur und Regulierung des Internets eingegriffen werden soll.
Diese und andere US-Verbände haben sich in einer Dachorganisation namens International Intellectual Property Alliance (IIAP) zusammengeschlossen, die weltweit versucht, Einfluss auf Gesetze zu nehmen, meist mit Hilfe der lokalen Branchenverbände - und mit teils tatkräftiger Unterstützung des US-Außenministeriums. Der internationale Copyright-Pakt Acta, dem sich bis 2013 möglichst viele Staaten anschließen sollen, ist nur eines von vielen Vorhaben.
Einige internationale Beispiele:
In Großbritannien wurde 2010 ein Gesetz namens digital economy act verabschiedet. Demzufolge etwa hat ein Minister nun das Recht, in Abstimmung mit dem Lordkanzler und beiden Häusern des Parlaments eine Website von den Providern blockieren zu lassen, wenn von dort aus in großem Stil Urheberrechte verletzt werden. Sowohl Bürgerrechtsorganisationen als auch große britische Internetprovider haben massive Bedenken gegen das Gesetz angemeldet. Vorerst gestrichen wurde aus dem Gesetz eine zweite Regelung: Eine sogenannte "three strikes"-Regel, derzufolge Urheberrechtsverletzern beim dritten Verstoß der Internetzugang hätte gekappt werden können. Das erschien Kritikern - unter anderem im britischen Oberhaus - als zu weitgehend. Die Regelung könnte jedoch noch nachgereicht werden.
In Frankreich dagegen hat sich die Branche mit diesem Wunsch durchgesetzt: Das sogenannte Hadopi-Gesetz sieht vor: Wer dreimal erwischt wird, etwa bei der Nutzung von Internet-Tauschbörsen, dem wird der Netzzugang gekappt.
In Neuseeland versuchten die Branchenverbände ebenfalls eine "three strikes"-Regelung mit der Möglichkeit, Zugänge zu sperren, durchzusetzen. Dort aber wurde die Regelung nach massiven Protesten zurückgenommen. Nach wiederholten Verstößen gegen Urheberrechte können Anschlussinhaber dort nun vor einem "Copyright-Tribunal" landen, das Schadensersatzzahlungen von bis zu 15.000 neuseeländischen Dollar (9400 Euro) verfügen kann. Vorangetrieben wurde das Gesetz namens S92A auch aufgrund von Druck aus den USA, der von der US-Botschaft in Neuseeland ausgeübt wurde, wie via WikiLeaks veröffentlichte Diplomatendepeschen zeigen.
In Spanien gilt seit Januar 2012 ein Gesetz, das wiederum eine eigene Behörde vorsieht, die Website-Sperrungen aufgrund von Urheberrechtsverletzungen verhängen soll. Im Dezember 2010 hatte dort der Botschafter der USA mehr oder weniger unverhohlen der Regierung gedroht. In einem Brief, den die Zeitung "El País" Anfang 2011 in Auszügen veröffentlichte, hielt Botschafter Alan Solomont dem damaligen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero vor, er blockiere das nach der damaligen Kulturministerin Ángeles González-Sinde benannte Sinde-Gesetz. Es sieht ähnliches vor wie Sopa und Pipa in den USA und der digital economy act in Großbritannien: Eine neugegründete Behörde soll die Befugnis bekommen, Internetprovider dazu zu zwingen, Websites zu blockieren, die angeblich mit der Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials in Verbindung gebracht werden können.
Der Fall Spanien zeigt in seltener Klarheit, wie rigoros das US-Außenministerium die Interessen der eigenen Entertainmentbranche durchzusetzen versucht. Zapatero hatte kurz vor Eintreffen des Briefes die Umsetzung des Gesetzes blockiert. Das hatte nicht zuletzt mit Veröffentlichung von über WikiLeaks verfügbar gemachten Depeschen des US-Botschafters in Spanien ans heimische Außenministerium zu tun. In einer von WikiLeaks und "El País" veröffentlichten Botschaft aus dem Februar 2008 heißt es, man müsse der neuen Regierung Spaniens klarmachen, dass das Land auf einer Beobachtungsliste der US-Regierung landen werde, wenn Spanien nicht "bis spätestens Oktober 2008" bestimmte Wünschen nachkommen sollte. Dazu gehörte "eine Ankündigung, dass die spanische Regierung bis zum Sommer 2009 Maßnahmen nach dem Vorbild der französischen oder britischen Vorschläge zur Bekämpfung von Internetpiraterie umsetzen werde". Doch das Sinde-Gesetz wurde schließlich gestoppt, nachdem durch die WikiLeaks-Veröffentlichung die offene Einflussnahme der USA auf spanische Gesetzgebung offenbar wurde.
Drohung mit Platz auf der schwarzen Liste
Kurz darauf erinnerte Botschafter Solomont Zapatero daran, dass Spanien mittlerweile auf der sogenannten Liste 301 stünde, einer Liste mit Ländern, die nach US-Auffassung nicht genug für den Schutz geistigen Eigentums tun. Spanien riskiere, schrieb Solomont, auf die schwarze Liste der schlimmsten Sünder in diesem Bereich zu kommen. "El País" zufolge kann eine solche Einstufung für das betroffene Land ernsthafte wirtschaftliche Konsequenzen haben. Auf der schwarzen Liste für das Jahr 2011 stehen etwa China, Indien, Russland und Indonesien, aber auch Kanada und Israel. Die im November ins Amt gekommene neue spanische Regierung setzte das Sinde-Gesetz letztlich doch um, Anfang 2012, nur wenige Monate nach Amtsantritt der Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Die US-Regierung honorierte das umgehend, im "301 Special Report 2011" wird die Umsetzung "begrüßt".
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Diese 301 Special Reports sind schon für sich genommen interessante Einrichtungen: Darin führt der Handelsbeauftragte der US-Regierung jährlich aus, welche Staaten nach Auffassung der US-Regierung nicht genug für den Schutz der Urheberrechte tun. Welche Lobbygruppen daran mitarbeiten, wird nicht ausgeführt, in den Danksagungen ist nur von "interessierten Parteien" die Rede. Auf den Seiten der IIPA wird man da deutlicher: Die Mitarbeit an der schwarzen Liste wird dort ganz explizit als "Beispiel für die Dinge, die wir tun" aufgeführt.
Spanien jedenfalls bleibt vorerst auf der 301-Beobachtungsliste, das US-Handelsministerium mahnt weitere Maßnahmen an, unter anderem wünschen die USA, dass Copyright-Verstöße künftig als Straftaten geahndet werden.
In den USA selbst ist man bislang übrigens weit weniger rabiat: Dort gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Vorratsdatenspeicherung - auch für die haben die Branchenverbände stets lobbyiert -, keine Sperrgesetze und keine "three strikes"-Regelungen für Tauschbörsennutzer. An der wütenden Reaktion der US-Internetszene auf Sopa und Pipa kann man sehen, warum: Nicht nur die Urheberrechtslobby, auch die Netz-Lobby ist in den USA besonders stark.
Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,809603,00.html
Wikipedia schließt sich Internet-Blackout an
Am Mittwoch, dem 18. Jänner, werden Webseiten rund um die Welt offline gehen, allen voran die Online-Enzyklopädie. Sie wollen damit gegen das umstrittene US-Antipirateriegesetz SOPA ("Stop Online Piracy Act") protestieren. Der breite Widerstand konnte bereits erste Erfolge verbuchen.
Es wird eine der größten Protestaktionen, die im Internet jemals stattgefunden haben: Am Mittwoch, dem 18. Jänner, werden verschiedenste Webseiten nicht wie gewohnt erreichbar sein. Allen voran die Online-Enzyklopädie Wikipedia: Ihre US-Version wird 24 Stunden offline gehen, wie die Community beschlossen hat. Die deutsche Ausgabe von Wikipedia wird einen Banner mit einem Informationstext zu der Protestaktion einblenden. Das Ziel des Blackouts, den der Social-News-Dienst Reddit mit 32 Millionen Nutzern initiiert hat: Man will damit gegen ein geplantes Antipiraterie-Gesetz in den USA, den "Stop Online Piracy Act” (SOPA), protestieren. Die Botschaft dürfte bereits angekommen sein: Im US-Kongress wurde der umstrittene Gesetzesentwurf am Montag auf die lange Bank geschoben.
Twitter-Gründer Dick Costolo kritisierte das Blackout auf Twitter, kurz nachdem Wikipedia-Gründer Jimmy Wales die Teilnahme der Online-Enzyklopädie an der Aktion verkündete.
Gefahr für die Meinungsfreiheit
SOPA soll künftig Rechteinhabern ermöglichen, die nicht lizensierte Verbreitung ihrer Werke (z.B. Musik, Filme, Fotos) im Internet zu verhindern. Unterstützung findet der Gesetzesentwurf vor allem bei großen Medienkonzernen, der Film- und der Musikindustrie. Die Gegner von SOPA sehen in dem Gesetz aber nicht bloß ein neues Mittel, Urheberrechtsverletzungen im Netz zu bekämpfen, sondern viel mehr als Zensur und eine Gefahr für Meinungsfreiheit im Web. "SOPA würde die Internetnutzung, wie wir sie kennen, fundamental verändern und Millionen unschuldiger Nutzer bestrafen, die nie auch nur an eine Copyright-Verletzung gedacht haben”, so die US-Bürgerrechtsorganisation EFF in einem Blog-Eintrag.
Weitreichende Auswirkungen
Mit dem Blackout wollen die Gegner demonstrieren, welche Auswirkungen das US-Gesetz auf den Internet-Alltag hätte. Neben Reddit unterstützt auch das Hacker-Kollektiv Anonymous die Proteste, zudem tauschten bereits zehntausende Nutzer von Facebook und Twitter ihre Profilbilder gegen Anti-SOPA-Banner aus. Auch sie wollen auf die weitreichenden Konsequenzen von SOPA aufmerksam machen.
Dienste wie Facebook oder YouTube müssten jeden von Nutzern hochgeladenen Inhalt (Video, Foto, Link) kontrollieren, ob er nicht das Urheberrecht verletzt, Google dürfte keine Webseiten in den Suchergebnissen führen, die einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. "Das würde Links und die fundamentale Struktur des Internet selbst kriminalisieren”, kritisierte etwa Google-Vorstandsvorsitzender Eric Schmidt. Weitere Effekte: Enthüllungs-Plattformen wie WikiLeaks oder Software, die Netzaktivisten zur Wahrung ihrer Anonymität verwenden (z.B. Tor), würden illegalisiert werden.
Protest auch in Österreich
Weil SOPA auch Auswirkungen auf die Internetnutzung außerhalb der USA hätte, haben sich auch in europäische Webseiten dem Blackout-Tag angeschlossen. So wird das Wiener Internet-Start-up EgoArchive am 18. Jänner offline gehen, "um zu zeigen, dass uns die Gesetzgebung in den USA auch sehr stark betrifft", so EgoArchive-Gründer Gerald Bäck. Außerdem werden der deutsche, sehr populäre Blog Spreeblick sowie das englischsprachige Online-Magazin BoingBoing einen Tag "schwarz machen”.
Die breite Front gegen SOPA hat am Wochenende sogar die Obama-Regierung zu einem Statment veranlasst. Aus dem Weißen Haus hieß es, dass die US-Regierung keine Maßnahmen unterstütze, die die Meinungsfreiheit einschränken sowie technische Innovationen hemmen. Denn auch das wird von den SOPA-Gegnern ins Feld geführt: Risikokapitalgeber wollen nicht mehr in Internet-Start-ups investieren, weil SOPA den Betrieb extrem verteuern würde.
Verfasser des Gesetzes rudert zurück
Mittlerweile hat sogar der Verfasser des Gesetzesentwurfs, der texanische Abgeordnete Lamar Smith, Zugeständnisse an die Kritiker machen müssen und in Aussicht gestellt, die geplante Blockade von Webseiten wieder aus dem Gesetz zu streichen. Denn wie drastisch SOPA das Internet verändern würde, musste Smith am eigenen Leib erfahren: Das Magazin Vice deckte auf, dass auf Smiths Webseite www.texansforlamarsmith.com selbst eine Urheberrechtsverletzung bei einem verwendeten Foto passiert war - wäre SOPA bereits in Kraft, wäre die Webseite wohl offline genommen worden.
Quelle:
http://futurezone.at/netzpolitik/6894-wikipedia-schliesst-sich-internet-blackout-an.php