Eventuell lohnt es sich diese Thematik mit einer anderen Herangehensweise zu betrachten, auch wenn es schwerfällt, emotionsloser, mit weniger Konzentration auf den Autor.
Ein guter Freund hat in Form und Stil (s.o.) ähnliche Eindrücke bei diesem Thema sammeln dürfen, nachdem er einen Offenen Brief zur Diskussion stellte. Hernach wird die Position (Sympathie <=> Antipathie) teils mit Aggression vertreten. Man deutet auf die Verfehlungen der einen Seite (Antipathie), räumt damit unfreiwillig (?) die Verfehlungen der eigenen Seite (Sympathie) ein. Hier (s.u. Link) dargestellt in einer Studie (Dämonisierung/Delegitimisierung/Doppelte Standards) weil es öfters und gerade wieder (s.o.) thematisiert wurde, Erklärungen zu Widersprüchen. Wie können aber hier, aktuell, die Widersprüche, die Affinität zwischen Unrecht und Sympathie erklärt werden (Frage 1))? Kann man "den" Medien des "Westens" wirklich eine einseitige Berichterstattung und Fokussierung in diesem Zusammenhang vorwerfen? Von einer Vernachlässigung der Kontrollpflicht kann doch angesichts der Affären (z.B. NSA, Bundeswehr...,"Landesverrat") nicht die Rede sein. Woher kommt also diese reflexartige Abwehr und Immunisierung von Kritik ( Frage 2))?
Als 'Aufhänger' ein Beitrag von Jochen Bittner (Zeit):
Die ostdeutsche Sympathie für Putin
Woher kommt die deutsch-deutsche Entfremdung in der Russland-Ukraine-Krise? Gerade die Sympathie ehemaliger DDR-Bürger müsste doch den Maidan-Demonstranten gehören.
Ich weiß natürlich nicht, für wie viele Ostdeutsche eine Leserbriefschreiberin gestern in der*Frankfurter Allgemeinen Zeitung*spricht, aber es würde mich wirklich interessieren. "Die Sympathie vieler Ostdeutscher für Putin", schreibt die Frau aus Meißen, "resultiert nicht daraus, dass sie kein Gefühl für Freiheit und Demokratie haben, sondern daraus, dass sie dieses Gefühl wegen ihrer traumatischen Erfahrungen besonders stark haben."*
Als ein Beispiel von Freiheit und Demokratie nennt sie die "Wiedervereinigung" der Krim mit Russland, für die immerhin 96,8 Prozent der Krimbewohner gestimmt hätten. "Die Wiedervereinigung der Russen war demokratischer als die unsrige, es war keine Annexion." Die Ostdeutschen seien nicht gegen den Westen, sondern lediglich gegen "Selbstgerechtigkeit und einseitige Sichtweisen, gleich, ob in Ost oder West".
Es gibt eine Menge (nur nicht, aber besonders) ostdeutsche Wut in letzter Zeit, die mit der Vermutung selbstgerechter Sichtweisen zu tun hat. Die neuen Montagsdemonstrationen. Pediga-Aufmärsche. Flammende Kritik an "Mainstream"-Medien. Wachsendes Misstrauen gegen politische Eliten, insbesondere wegen angeblicher "Kriegshetze" gegen Russland.
Als Journalist fragt man sich gelegentlich, ob man tatsächlich an den Empfangsfrequenzen vieler Ostdeutscher vorbei sendet, und woran das liegt. Einen wütenden Leser, der sein ZEIT-Abo kündigen wollte, rief ich an, um zu erfahren, was ihn denn eigentlich so auf die Palme bringe. Er sei, antwortete er mir durchaus leidenschaftlich, doch nicht 1989 auf die Straße gegangen, um jetzt schon wieder mit einer völlig einseitigen Weltsicht berieselt zu werden. Als Ostdeutscher habe er nun einmal eine "besondere Antenne" dafür, wann Medien und Politiker begännen, "gleichgeschaltet" zu reden.
Zu dem Eindruck, Medien und Politik unterlägen gegenüber Russland einer grundsätzlichen Fehleinschätzung, trägt sicher auch die Tatsache bei, dass in den vergangenen 25 Jahren viele (westdeutsche) Journalisten zu wenig Gespür für die Biografien und das Lebensgefühl ihrer (ostdeutschen) Leser mitgebracht haben. Wenn die Gegenwartsanalyse dieser Schreiberlinge schon für die Post-DDR danebenging, warum sollte sie heute für die Post-Sowjetunionen treffsicherer ausfallen?
Gute Frage. Aber mit dieser Ableitung alleine, ist, denke ich, die deutsch-deutsche Entfremdung, die wir gerade über die Russland-Ukraine-Krise erleben, nicht zu erklären.
Putin setzt genau auf diese Gleichsetzung des Ungleichen.
Gegenfrage: Ist es möglich, dass viele Ostdeutsche gerade zwei Dinge verwechseln? Skepsis gegen Dogmen, Ideologien und bequemen Gewissheiten ist immer gut, egal, ob die von links, rechts oder aus der Mitte kommen. Man sollte diese Skepsis allerdings nicht durcheinanderbringen mit der Infragestellung von vitalen gesellschaftlichen Errungenschaften und hart erkämpften Rechts- und Wertegrundsätzen. Genau auf diese Gleichsetzung des Ungleichen setzt Putin. Er ist ein geschickter Alles-Relativierer, der westliche Überzeugungen als ebenso willkürliche Konstrukte verkauft wie andere Gesellschaftsideen. Das sind sie aber nicht. Die durch nur eine antagonistische Lehre entstandene Weltsicht eines Honecker ist eben keineswegs vergleichbar mit den durch viele Lehren gewonnenen Positionen eines demokratisch sozialisierten Politikers, auch wenn beide ihre Positionen mit Verve vertreten.
Ja, absolut, zu Demokratie und Freiheitlichkeit gehört es, die eigene Position immer und immer wieder zu prüfen, am besten entlang der jeweils stärksten Argumente der Gegenseite. Aber zu dieser Prüfung gehört am Ende eben auch, nicht jede Relativierung mitzumachen - etwa die von Grundrechten, demokratischen Verfassungen oder völkerrechtlichen Garantien. Genau darin besteht der Unterschied zwischen Skepsis und Verunsicherung. Anders gesagt, in den Worten des Pulitzer-Preisträgers David Johnston: "Wenn jemand behauptet, die Erde sei eine Scheibe, dann kann das Fazit nicht sein, dass die Form der Erde nach wie vor umstritten ist."
Deswegen hat mein Verständnis für die derzeitige Medien- und Politikwahrnehmung "vieler Ostdeutscher" (Leserbrief-Autorin) offen gesagt Grenzen. Warum gehört die Sympathie gerade ehemaliger DDR-Bürger nicht viel deutlicher den Maidan-Demonstranten, die tatsächlich für etwas sehr Ähnliches gekämpft haben, für das auch die 89er auf die Straße gegangen sind: Den Sturz eines selbstverliebten, egoistischen, korrupten Regimes, das ein Land ausplünderte? Warum entschuldigen sie die Völkerrechtsbrüche Putins mit der Tatsache, dass auch die Vereinigten Staaten das Völkerrecht verletzten? Warum bringt sie die Medien-Steuerung und die Propaganda des Kreml, die ganz nach Kalter-Kriegs-Mustern abläuft, nicht auf die Palme? Wie wütend wären sie gewesen, wenn Gorbatschow die Montagsdemonstranten 1989 als "Faschisten" verunglimpft hätte? Wo bleibt die Solidarität mit denen, die heute auf diese Weise diffamiert werden?
Sie, liebe Leserbrief-Autorin, vergessen etwas Wesentliches, wenn Sie sagen, die "Wiedervereinigung" der Krim mit Russland gehe in Ordnung, weil Russland nicht an die ukrainische Verfassung gebunden sei. Auch Russland ist ans Völkerrecht gebunden. Und das verbietet den Raub von Territorium aus fremden Staaten. Und das ist keine willkürliche Norm, sondern die Jahrhunderte alte Lehre aus einem 30-jährigen Krieg, in dem Europa sich einmal fast gegenseitig aufgefressen hätte.
Der Cicero (Moritz Schuller) ein anderes Mainstream-Organ, dazu:
Die Putin-Versteher verteidigen eine Politik, die sie angesichts der deutschen Vergangenheit ablehnen sollten. So hat Putin in der Krim-Krise aus zu vielen Deutschen Revanchisten in eigener Sache gemacht
Die Krim-Krise war der Test, auf den sich die Deutschen in jahrzehntelanger antifaschistischer Kleinarbeit vorbereitet hatten. Ein Autokrat verleibt sich in Europa mithilfe von völkischen Argumenten militärisch einen Teil des Nachbarlandes ein – ist das gut oder schlecht? Jeder Erstklässler, ob links oder rechts, sollte da eigentlich die Hand heben können, und doch fällt vielen in Deutschland die Antwort darauf erstaunlich schwer.
Weil das kulturelle Band zwischen Deutschland und Russland so stark ist? Weil Tschechow in Badenweiler gestorben ist und Dostojewski in Baden-Baden so viel Geld verspielt hat? Weil die Russen dem Theaterregisseur Peter Stein schon 1978, „mit mehr oder weniger Wodka im Blut“, großherzig Königsberg angeboten haben?
Nein, weil Wladimir Putin die Deutschen dort erwischt hat, wo sie offenbar noch immer verwundbar sind: bei ihrer eigenen Vergangenheit.
Deutsche Sympathien für einen Führer.
In seiner Rede nach der Krim- Übernahme richtete sich Putin direkt an die Deutschen, mit dem Argument, dass doch gerade sie Verständnis für eine solche völkische Wiedervereinigung haben müssten. Das klang nach 1990, doch die historische Analogie waren die 1930er Jahre, als Deutschland nicht friedlich, sondern militärisch seine Volksgenossen einzusammeln begann. „Ich mache doch nichts anderes als ihr“, lautete Putins Botschaft an die Deutschen. Und diese Botschaft ist angekommen. „Putin hat hundertmal recht auf der Krim“, sagt*Peter Scholl-Latour, und Peter Gauweiler von der CSU sagt: „Wenn Deutschland und Russland gute Beziehungen hatten, dann war das immer gut für Europa.“ Darüber denken unsere Nachbarn, die sich noch an den Hitler-Stalin-Pakt erinnern können, etwas anders.
Auch in den USA oder in England gibt es Verständnis für Putin und Verteidiger seines Vorgehens. Doch nur an Deutschland hat er einen solchen Verständnispakt herangetragen – und nur hier existiert die dazugehörige historische Folie. Wladimir Putin verführt die Deutschen dazu, machtpolitische Sympathien für einen Führer zu hegen, der ein gedemütigtes Volk aus dem Chaos und der Armut der Jelzin-Jahre wieder zu alter Größe emporführt. Er verführt sie, sich als Anti-Westler einzureihen und im Chor mit Moskau den Amerikanern und Engländern ihren Kapitalismus und ihre Völkerrechtsverlogenheit endlich einmal um die Ohren zu schlagen. Für den russischen Präsidenten distanziert sich ein ehemaliger deutscher Kanzler sogar von seiner eigenen Politik im Kosovo.
Russland lebt in einem asymmetrischen Geschichtsbild.
Putin schafft es, dass viele in Deutschland plötzlich verteidigen, was sie an ihrer Vergangenheit niemals zu verteidigen gewagt hätten: dass nämlich schon einmal ein Volk, gedemütigt durch Versailles, nach dem Chaos und der Armut der Weimarer Republik, einfach nur seine Volksgenossen heim ins Reich geholt hat. Putins Angebot war infam, weil es den Deutschen ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit unterstellte. Infam, weil dadurch seine Verteidiger, von Gauweiler bis Wagenknecht, zu Verteidigern einer Politik werden mussten, die sie angesichts der deutschen Vergangenheit fundamental ablehnen sollten. In der Krim-Krise hat Putin aus zu vielen Deutschen Revanchisten in eigener Sache gemacht.
Es ist vielleicht nicht erstaunlich, dass das Mammut Russland nach Jahren im sowjetischen Eis noch immer in längst vergangenen politischen Kategorien denkt und historische Rechnungen begleichen will, für die es keine Schuldner mehr gibt. Russland lebt, wie im vergangenen Jahrzehnt auch noch Polen, mit einem asymmetrischen Geschichtsbild.
Eigentlich sollten die antifaschistischen Alarmanlagen aufschrillen.
Erstaunlich ist vielmehr, dass es in Deutschland, weltweit gepriesen für den Umgang mit der eigenen Geschichte, für diese Haltung so viele Ansprechpartner gibt. Dass nach all den Jahren der Auseinandersetzung mit dem „Dritten Reich“ die vermeintliche Identifikation von Volk und Führer in Russland so unkritisch übernommen wird; dass die demokratische Schwäche des Landes und seiner Institutionen nicht ausreichend Anlass ist, Putin zu misstrauen; dass die heroisierende Inszenierung einer Führungsfigur nicht bereits alle antifaschistischen Alarmanlagen in Deutschland aufschrillen lässt; dass die Bereitschaft, sich auf das Weltbild des Autokraten Putin einzulassen, so groß ist, ebenso groß, wie die Bereitschaft, sich vom Westen zu distanzieren.
Putin hat den Deutschen das Angebot gemacht, anders auf ihre Vergangenheit zu blicken. Es ist erschreckend, wie viele plötzlich nicht einmal die einfachen Fragen zur eigenen Geschichte beantworten können.
http://jcpa.org/phas/phas-sharansky-s05.htm