Delta Machine

Schwertfisch

Gast
...ich hasse irgendwelche elaborierten Möchtegern-Musikkritiker, die mir erzählen, ich müsse mich in ein Album hereinarbeiten, nur damit ich es wirklich verstehen könne und den Zugang zu einer Musik finden würde, die mir ansonsten in all ihrer vermeintlichen Herrlichkeit verschlossen bleiben würde! Und weil ich das so hasse, tue ich genau das jetzt o_O

Nachdem ich am Freitag als richtiger Fanboy wie ein Irrer in den nächsten Saturn gehechtet bin um endlich in den Besitz des 13. Studienalbums von Depeche Mode zu gelangen, raste ich heimwärts (so schnell es die S-Bahn erlaubte) und wollte mich nicht einfach der gnadenlos schlechten Rezension auf spiegel.de und dem Kommentar "das Album ist !§#$%&?" meines Schwagers ergeben. Also rein mit der CD, schnell die Stücke überflogen und zum Urteil gelangt: Die ist !§#$%&?!

Im Laufe des Abends überkam es mich dann, dass mir das mit noch einem Album von Depeche Mode seinerzeit so gegangen war: Playing the Angel - fand ich auch erst !§#$%&?. Mittlerweile ist es eines meiner Lieblingsalben der Band. Der Begriff ist allerdings verdächtig irreführend - dazu später mehr. Playing the Angel konnte ich auch erst nach einiger "Gewöhnung" genießen und mittlerweile gehören ein paar Stücke von diesem Album zu meinen absoluten Lieblingen von Depeche Mode.

Nun also eine ähnliche Erfahrung mit "Delta Machine"? Nein, es dauerte nicht so lange. Also das Wochenende mit Kopfhörer und viel Lautstärke verbracht (ich nehme an, ich habe seit Sonntag die Leute um mich herum versehentlich permanent angeschrien und keines ihrer Worte verstanden) und wirklich mal "reingearbeitet" in dieses vermeintlich sperrige Ding um den Zugang zu finden. Ja, so klingen vermeintlich intellektuelle Möchtegern-Musikkritiker.

Hiermit ein Zwischenfazit zur Delta Machine, ein abschließendes Urteil kann ich mir wohl erst in einiger Zeit erlauben. Bis auf zwei Ausnahmen finde ich das Album durchweg brillant. Die eine Ausnahme ist "The child inside" - ich konnte mit dem Gesang von Martin Gore nie etwas anfangen, das zieht sich allerdings schon seit "Sometimes" (Black Celebration) wie ein roter Faden durch meinen Musikgeschmack - der Tiefpunkt war aus meiner Sicht "Damaged People" von der Playing the Angel. Die haben doch einen hervorragenden Sänger - Martin kann da gerne den Rest der Arbeit übernehmen, lass Dave mal den Gesang machen. Darüber hinaus sagt mir "Slow" nicht sonderlich zu, eine schwulstige Bluesnummer über die Vorzüge des gemächlichen Geschlechtsverkehrs - eine Banalität des Songwritings und ich möchte den Herren zurufen, dass es einfach banal ist, mit über 50 die Vorteile des gemütlichen Coitus hervorzuheben - aus dem Karnickelrammleralter sind wir ja alle raus (also die und ich).

Ansonsten: Mutig und wirklich fantasiereich. Mein persönliches Highlight auf dem Album ist "Should be Higher" - komplex, stimmungsvoll, hintergründig. Dave mit Falsett hatte ich auch noch nicht zuvor gehört und nicht erwartet, dass es klappen könnte. Tut es. Bestens. Noch ein Grund weniger für Martin zu singen ;) Wie er das live bringen wird - ich bin gespannt. Bei der Playing the Angel Tour war seine Stimme ja hörbar schon am Limit angekommen - sich dann hierzu nochmal aufzuschwingen wird anspruchsvoll. Eine sehr intensive Nummer, die mich teilweise vom Arrangement her an Gabriels "Intruder" in der Version "New Blood" erinnert hat. Düster, verspielt. "Should be Higher" ist natürlich keine Anspielung auf die Möglichkeit, dass der Gesang noch höher sein sollte, sondern eine thematische Anspielung auf die "Blindheit der Liebe" und die damit teilweise verbundene Anspruchslosigkeit an die eigenen Moralvorstellung und den Selbstwert. "Your lies are more attractive than the truth / Love is all I want". Auch hier komme ich an Peter Gabriel nicht vorbei, der mit "Love to be loved" das Thema ja auch vertraut verarbeitete.

Ich habe in den letzten Tagen auch einige Kritiken und Rezensionen des Albums gelesen und vor allem bei den Kundenrezensionen bei Amazon die typische Diskussion verfolgt, die jedem neuen Album seit 1993 folgt: Besser/Schlechter als "Violator" - hieran scheiden sich immer die Geister. Die einen behaupten, alles seit 1993 wäre Müll und nur die Musik davor habe Relevanz, andere sehen es ein wenig gelassener. Für mich erscheint "Violator" mittlerweile fast als ein Fluch für die Band. Es war mit Sicherheit ein tolles Album in seiner Zeit. Mit "Enjoy the silence", "World in my eyes" und "Halo" wurden hier Songs geschaffen, die sicherlich auf ewig mit einer Hochphase des Synthie-Pops verbunden sein werden. Zu Recht, tolle Lieder. Nur: Würde ich jedes Album danach nur damit vergleichen wollen und bei jedem Album wieder ein Remake erwarten, wäre es langweilig und beliebig. Violator ist toll - aber alles zu seiner Zeit und alles so, wie es passt. 1993 war nicht alles toll, ich hatte noch leichte Akne und Violator passte prima in die Zeit. Jetzt sind es 20 Jahre später und jetzt passt "Delta Machine" eben viel mehr!

Am ehesten an den Stil dieser Zeit kommt wahrscheinlich "Alone", welches wieder eine eher eingängige Mid-Tempo-Nummer ist, die man eventuell auch mal mittanzen kann. Guter Refrain, stimmige Melodie - erinnert am ehesten an Depeche Mode älterer Tage. Womit ein weiterer Aspekt von Delta Machine angesprochen ist: Depeche Mode zitieren hier permanent die früheren Alben, es gibt eine Unmenge an Anspielungen an ältere Stücke ("Broken" nimmt unverblümt Anleihen bei "Little 15" von der Black Celebration, auch wenn der Elektro-Beat aus "The Sinner in me" zu stammen scheint, "Goodbye" lehnt sich durchaus an "Personal Jesus" an, "Alone" bedient sich durchaus hier und da bei "Never let me down again"). Für diejenigen, die das Werk in Gänze kennen, sind das teilweise sehr erfreuliche Erinnungsstücke.

Und das macht halt auch einen Teil des Charmes von Depeche Mode aus: Sie mögen sich zitieren, sie kopieren sich aber nicht. Wie einfach wäre es doch aus kommerzieller Sicht gewesen, alle Alben wieder ein wenig wie "Vialator" klingen zu lassen? Wie simpel wäre es gewesen, ein "Enjoy the silence" in zig Varianten mit leichten Abwandlungen immer und immer wieder zu veröffentlichen? Die alte Fanbase hätte wahrscheinlich jubiliert ("Wieder ein richtiges Album von Depeche Mode!") und Leute wie ich, und wahrscheinlich die Band auch, hätten sich aufgrund der Nullkreativität zu Tode gelangweilt. Daher freut es mich um so mehr, dass Depeche Mode auf jedem Album Neue Dinge probiert, Themen nochmal aber anders angeht, neue Sounds ausprobiert. Weiter so! Es mag erst "sperrig" sein weil es der eigenen Erwartung und den Hörgewohnheiten widerspricht, aber nur so ist es wirklich interessant und spannend und eine spürbare Entwicklung. Nur so kann es sein, dass Violator das Beste Album des Jahres 1990 ist - und aus meiner Sicht "Delta Machine" schon jetzt eines der Besten Alben des Jahres 2013. Und ich bin mir sicher: Bei "Soothe my soul" werden auch die Altfans live keinen Stein auf dem anderen lassen - soviel als Hinweis für alle, die wieder eher treibende Rythmen a´la "Enjoy the Silence" zum Mittanzen haben wollen.

Ein besonderes Schätzchen auf dem Album ist aus meiner Sicht auch "My little Universe". Erst fand ich den Song extrem seltsam, der Anfang erinnert mich eher an Computerspiele-Musik aus den 64er-Zeiten (dachte gleich an 'Thing on a spring') aber irgendwann ging mir das Licht dann hier auch mal auf. Und zum ersten Mal kann ich Depeche Mode zustimmen, dass "Kraftwerk" einer ihrer größten Einflüsse war. Bisher hielt ich das immer für ein seltsames Statement, fand ich doch bisher überhaupt keine Anlehnungen an Kraftwerk in der Musik von Depeche Mode - hier werden sie mir um die Ohren gehauen. Und das was "My little universe" ausmacht, erschließt sich wirklich erst bei voller Lautstärke. Hier kommt Schicht um Schicht zu tragen und was anfangs oberflächlich nach 8Bit-Synthi-Pop klingt, bekommt bei jedem Hören weitere Tiefen. Selbst Freunde des Dubstep werden sich hier wiederfinden.

Endlich - Fazit:
Mittlerweile hat mich Delta Machine vollkommen in ihren Bann geschlagen und die Scheibe nudelt rauf und runter, immer und immer wieder. Zuerste hielt ich sie für rockiger als frühere Nummern, nun habe ich sie als viel elektronischer erschlossen. Immer dann, wenn die Gitarre zum Riff ansetzen möchte, haut Martin ein "Whap Whap" des Synthis dazwischen und ringt die Gitarre wieder nieder. Immer wenn Dave zu sehr ins schwulstige abgleiten will, kommt der plötzliche Tempowechsel. Und ich freue mich schon drauf, was die Jungs von Dominatrix aus "My little Universe" machen. Und ich will unbedingt "Goodbye" als Rausschmeißer des Konzerts erleben. Die Produktion des Albums ist übrigens meisterhaft: Jeder Ton sitzt da wie einzeln platziert, nichts wirkt übersteuert oder unterfüttert, jeder Bass (und davon gibt es einige) ist ein kerniges "Wumm!" an der Stelle, wo er sein soll. 1A-Produktion!
 

Mrs.Gold

Gast
Du hattest vorher noch nicht ins Album gehört :eek: Und das wo man schon Tage vorher das konnte.
Ok es wurde Zeit das ich mich hier angemeldet habe ;)

Bei Kritikern haben ich generell die "Ist mir egal" Einstellung, mir muss sowas gefallen und nicht denen.

Ich mag Martins Gesang und finde das seine Stimme zu einigen Liedern besser passt. Und ich mag solche Lieder wie "Damaged People" oder "The Child Inside".

Mein Lieblingslied von Delta Machine ist aber "Soothe My Soul"

Und damit du weiß wie sich das live anhört :

Depeche Mode bei Letterman 11.3.2013
[video=youtube;_wlQn6E3DeI]http://www.youtube.com/watch?v=_wlQn6E3DeI[/video]
 
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