Ein kleines Essay über das "innere" Gewahrsein! Teil 1:

Xuntal

Gast
Über das „innere“ Gewahrsein:​

Jeder von Euch, der sich noch an meine Signatur erinnert, jene mit den drei ‚unendlichen’ Geschichten, wird sich vielleicht noch an die Formulierung: „ungeteilte Achtsamkeit“ erinnern. Für alle diejenigen, die jetzt noch neu sind, hier noch mal das betreffende Haiku:

Der Weg zum „DO“ ist:
ungeteilte Achtsamkeit –
bewege dies stets!!!​
Was ist das nun? Was bedeutet diese seltsame Formulierung? Sie beinhaltet, dass ein jeder Mensch sich stets und ständig seiner Selbst bewusst sein sollte und sich dazu der ungeteilten Achtsamkeit bedienen kann – so er diese denn verinnerlichen kann…..

Ein jeder von uns wird, wenn er auf seinen bisherigen Lebensweg zurückblickt, auf die eine (oder andere) Begebenheit stoßen die sich in der Rückschau als ein Schlüsselerlebnis erweist. von einem solchen Schlüsselerlebnis möchte ich Euch heute berichten:

Es war Anfang der 90er Jahre. Ich betreibe zwar nicht mehr aktiv Ken-Do (Den ‚Weg’ des Schwertes), aber ich bin und bleibe ein Krieger – daher lasse ich mich auch mal gelegentlich bei meinen alten Kameraden sehen, um Erinnerungen auszutauschen und/oder aufzufrischen. Bei einer solchen Gelegenheit wurde ich von einem jungen Mann auf das herzlichste begrüßt – grad so, wie man einen lieben alten Freund, den man lange nicht gesehen hat, begrüßen würde. Und dies, obwohl ich in meinem Gedächtnis vergeblich nach einem Abbild dieses jungen Mannes fahndete. So sprach ich ihn natürlich darauf an.

Des Rätsels Lösung lag noch einmal ungefähr zehn Jahre zurück. Damals wurde im hohen Norden von Berlin ein neuer Freizeitpark eröffnet und es gab latürnich ein „Rahmenprogramm“ um dieses Event würdig zu feiern.

Ich vermag mich heute nicht mehr an die Kausalkette zu erinnern, die mich und meine Mannen (aus dem tiefen Süden Berlins) an diesem Ereignis teilhaben ließen – aber wir waren dabei und zeigten eine Bogenvorführung und eine Schwert-Kata. Eine Kata ist eine Art stilisierter Kampf, wobei sich Angreifer und Verteidiger verabredungsgemäß verhalten. Wir waren mit Ernst und Eifer bei der Sache und gaben unser Bestes! Jener junge Mann war nun damals, als 17/18 jähriger dabei und unsere Darbietung schlug ihn völlig in den Bann. Nach beendeter Lehre und einigen „Irrwegen“ landete er also bei meinem „alten“ Verein und widmete sich ernsthaft dem Studium des „Schwertweges“. Inzwischen war er 29 Jahre alt, hatte den 3. Dan (Meistergrad) erreicht und war Mitglied des A-Kaders der deutschen Kendo-Nationalmannschaft.

Und so fragte ich mich nun: WAS wäre gewesen, wenn ihn unsere Vorstellung damals nicht so beeindruckt hätte? Sicherlich wäre er derselbe sympathische junge Mann geblieben – aber sein Lebensweg wäre mit Sicherheit ein ganz anderer geworden. Wir durften also damals sozusagen „Schicksal“ spielen…..

Diese Überlegungen brachten mich nun, zum wiederholten Male auf den Punkt „inneres Gewahrsein“. Abgesehen davon, das der Umgang mit Schwertern sowieso nicht ungefährlich ist – man muss 100% ‚dabei’ sein – ist ja eine Kata ein „Kampf“ mit verabredetem, d.h. vorherbestimmten Ausgang. Also im Grunde genommen uninteressant? Wer würde sich schon ein Fußballspiel o.ä. ansehen, wenn der Ausgang von vorn herein feststehen würde?? Nun kam aber an jenem denkwürdigen Tag so viel von der Energie und dem geistigen Einsatz eines jeden Beteiligten ‚rüber’, das genug davon auch im Publikum „hängen“ blieb und besonders bei dem jungen Mann. So viel, dass davon sein gesamtes weiteres Leben beeinflusst wurde.

* * *​

Unsere heutige Welt ist überreich angefüllt mit allerlei Ablenkung. Es wird über unsere lieben Mitmenschen ein stereotyper Brei von Lärm, bunten Bildern und leeren Phrasen ausgegossen. Der vom Flitterglanz seiner eigenen Firlefanz-Erzeugnisse hypnotisierte Zeitgenosse hat wenig bis gar keinen Kontakt mit seiner inneren Welt: Er befasst sich i.d.R. mit dem äußeren, nicht mit dem inneren Raum. Darüber hinaus kommt noch verschärfend hinzu: DIESER Trieb ist im Menschen nicht von Natur aus angelegt – er muss ihn erst erwerben. Auch ist der Erfahrungsaus-tausch schwierig, zumal es für gewöhnlich ein langer und dornenreicher Weg ist. Die heutigen Menschen haben im Allgemeinen so erschreckend wenig vom ‚inneren Gewahrsein’, dass es vielleicht nur noch einer Kette von Zufällen und/oder Automatismen zu verdanken ist, dass der ganze Laden noch nicht zusammen gebrochen ist und es werden letztendlich die ethischen Defizite sein, die unserer Kultur das Rückgrat brechen werden: Denken wir doch nur einmal an die völlig enthemmte Journaille die, bis zu den Ohren im Blut watend, sich immer ergötzlicher an Negativismen weidet. Negativismen, die oftmals ein erschreckendes „Eigenleben“ entwickeln…..

Ein Mensch OHNE inneres Gewahrsein mag denken, dass er sein eigener Herr ist – aber er kann nicht einmal eine Straße hinuntergehen, ohne sein Wachbewusstsein an jeden x-beliebigen Eindruck zu verlieren, der seine Neugier erregt. Wir kennen alle jene kleinen „Schusselchens“ die sich vornehmen, 10 Dinge zu tun und es gerade mal auf 2 oder 3 korrekt erledigte Aufgaben bringen. Denen man etwas nicht nur einmal, sondern vier- und fünfmal sagen muss, weil ihr Wachbewusstsein ständig mit ihrem Ego jongliert.

WAS auch immer wir tun müssen, sollten wir tun! Aber dies mit 105% Einsatz und mit unserem ganzen SEIN und SELBST! Wenn Du Auto fährst, fahre Auto – und nichts sonst! Wenn arbeitest, arbeite – und nichts sonst! Wenn Du dich entspannst, entspanne Dich – und lass’ Dich nicht ablenken in dem, was Du tust!!! Merke: Es gibt keine ‚gefährlichen’ Maschinen – es gibt nur unachtsame und allzu ablenkungsbereite Menschen!

Ergo ist die Forderung nach der „ungeteilten Achtsamkeit“ die wichtigste überhaupt. Sie kommt noch VOR allen anderen Dingen. Denn nur sie begründet im Wesentlichen das, was wir das innere Gewahrsein nennen.

Ich bemesse der „Eingangsgeschichte“ meines Essays nun gewiss keinen überragenden Stellenwert in meinem Dasein zu, sie hat mir jedoch gezeigt, dass es letztendlich auf die eigene innere Einstellung ankommt, mit der man an die Sache herangeht. Wenn wir damals unsere Darbietung nur eben so „heruntergeschludert“ hätten, ja dann wäre wohl dieser Erfolg nicht eingetreten – auch wenn bis zur „Ernte“ noch über zehn Jahre ins Land gehen mussten.

Wir wissen letztlich alle nicht, „wofür“ wir auf dieser Welt sind. Vielleicht haben wir ‚unseren’ Beitrag schon geleistet und werden jetzt nur noch entlohnt? Vielleicht harren aber noch gewisse Dinge unserer Aufmerksamkeit? Wir wissen es nicht. Der „Abenteuerurlaub“ kann aber auch schon morgen vorbei sein?!? WAHR ist auch: Das letzte Hemd hat keine Taschen – aber der „Fahrtenschreiber“ DER wird stets mitgenommen!!!
Das „innere Gewahrsein“ eines jeden Menschen ist seine ureigenste, individuellste Angelegenheit – will sagen: Mann kann bei der Erlangung und Erhaltung derselben keine (oder nur eine sehr begrenzte) Hilfestellung leisten. Trotzdem will ich versuchen, Euer Augenmerk auf einen ganz wesentlichen Punkt zu lenken:

Die größte Offenbarung ist die Stille!

Diese Worte stammen nicht von mir, sondern von Lao-Tse und am Beispiel des einfachen Gewahrseins werde ich versuchen, Euch eine Facette dieser Vielschichtigkeit zu offenbaren.

Man kann, auf der Basis von gesicherten Erkenntnissen davon ausgehen, dass dem „Homo sapiens“ (sehr grob ausgedrückt) der Zugriff auf fünf Bewusstseinsebenen möglich ist:

a. Tiefer Schlaf ohne Träume 1. Ebene
b. Schlaf mit Träumen 2. Ebene
c. Wacher Schlaf (Identifikation) 3. Ebene
d. Selbst-Transzendenz (sich erinnern) 4. Ebene
e. Objektives Bewusstsein 5. Ebene
(kosmisches Bewusstsein)

Die Natur garantiert, dass wir die erste, zweite und dritte Ebene gefahrlos erreichen können. Diese sind lebensnotwendig für die Erhaltung der physischen Daseinsform und für die Arterhaltung. Mutter Natur lässt aber die vierte, oder gar fünfte Ebene völlig außen vor! Ganz im Gegenteil: Es scheint so, dass sich auf Grund eines Irrtums im Muster der Entwicklung des Menschen Mechanismen in ihm ‚entwickelt’ haben, die es ihm schwer oder gar unmöglich machen, die höheren Bewusst-seinsformen zu erfahren.

Die dritte Ebene ist gleichfalls vielschichtig. Man kann sie sich als ein Haus mit mehreren Zimmern vorstellen oder als eine Straße. Die legitime Straße zur vierten und fünften Ebene führt durch die ‚stille’ Welt, die Welt des „einfachen“ Gewahrseins, jenseits aller Worte, jenseits der Gedanken – jener Welt, der sich die Jünger des „Zazen“ verschrieben haben. Psychodrogen können nun den Reisenden in die stille Welt führen, können ihm einen Vorgeschmack von den Schönheiten und Wundern geben, die sie enthält – aber sie können ihn nicht in dieser Welt halten!!!
Nur durch ernsthafte Arbeit, durch ständige, beharrliche Anstrengung kann er lernen, das Rad der Vorstellungen anzuhalten, die Flut von inneren Konversationen aufzuhalten, von Argumenten und Gegenargu-menten, konterkarierenden Thesen, bloßem Geschwätz(!), mit der das Großhirn durch seine nutzlose Überaktivität das Bewusstsein von der Morgendämmerung bis zum Abend ständig überschwemmt!!!!!!!!!

Ende Teil 1.
 
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