Die Sequenz aus "Charlie Hebdo" und den Anschlägen vom Freitag, den 13. November, ist psychologisch das europäische Nine Eleven. Der Kern wird getroffen. Der Staat. Die Ordnung. Die Sicherheit. Die Zuversicht, alles unter Kontrolle zu haben. Das Selbst: Ich hätte auch da auf der Straße gehen können, sagt man sich, ich hätte auch in dem Konzert sein können. Und niemand, nichts hätte mir geholfen. Keine Polizei. Kein Staat. Kein Politiker. Die rohe Gewalt religiöser Fanatiker, gemeiner Mörder steht über unserer Ordnung. Die Salven der Kalaschnikows, die Detonationen der Sprengkörper sind stärker als alle Vernunft. Die Verunsicherung, die von einem solchen Ereignis ausgeht, ist fundamental und stellt die Politik vor archaische Fragen. Was folgt daraus? Was ändert sich?
Wenige Tage, bevor das Attentat auf "Charlie Hebdo" erfolgte, veröffentlichte Michel Houellebecq sein Buch "Die Unterwerfung". Erzählt wird die schleichende Unterwanderung und schließlich Eroberung Frankreichs durch den islamistischen Fundamentalismus. Am Anfang sind es Anschläge, Feuer, Bombendetonationen im Zentrum von Paris. Dann zeitgleich erfolgende Schießereien auf Zivilisten. Langsam ändert sich der Alltag. Die Miniröcke verschwinden und werden durch lange Gewänder ersetzt. Dann der politische Coup: Eine muslimische Partei stellt den Staatspräsidenten. Der Held oder Anti-Held des Buches konvertiert – mehr aus Bequemlichkeit denn aus Angst – zum Islam. Die Unterwerfung.
Man hat dem Buch Islamophobie vorgeworfen. Das ist absurd. Es ist vielmehr eine beklemmende – ohne Hass und Vorurteil geschriebene – Fantasie. Die so beklemmend ist, weil wir immer mehr Spuren in der Wirklichkeit und Gegenwart entdecken. Mal liest sich das Buch wie ein Menetekel. Mal wie eine Gebrauchsanweisung, so als hätten die Mordkommandos des IS das Buch gelesen und gesagt: Was der dekadente Westen literarisch beschreibt, das setzen wir in die Tat um.
Die westlichen Demokratien stehen vor einer schicksalshaften Frage: Wie wollen wir unsere vielbeschworene Freiheit verteidigen? Oder noch archaischer: Unterwerfung oder Kampf? Und wenn Kampf: wie?