'Raskolnikow, ein ehemaliger Student, ist bettelarm, geht in Lumpen und haust in einer schäbigen Dachkammer. In letzter Zeit hat sich seine Lage zunehmend verschlechtert. Der Unterricht, der ihm etwas eingebracht hatte, ist weggefallen, und er hat seit Langem die Miete nicht mehr bezahlen können. Er hat kaum mehr etwas zu essen. Alles, was zu versetzen war, hat er der Pfandleiherin bereits gegeben. Von zu hause hört er mit Schrecken und einem Gefühl der Demütigung, dass seine Schwester einer Ehe nur zugestimmt hat, weil sich damit die Mögklichkeit der Fortsetzung seines Studiums und einer späteren Anstellung eröffnen könnte... Da beginnt Raskolnikow an das viele Geld zu denken, das die Wucherin hortet. In einem Gasthaus wird er Zeuge eines Gesprächs, in dem jemand laut darüber nachdenkt, die widerwärtige Alte aus dem Weg zu räumen und sich das Geld anzueignen, um andereren, wertvolleren Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen. Was er hört, fällt auf fruchtbaren Boden. Schon lange nämlich liebäugelt er mit dem Gedanken, dass es außrgewöhnkliche Menschen gebe, die über Leichen gehen dürften; sogar einen Aufsatz hat er dazu veröffentlicht. Schließlich dann erfährt er durch Zufall, dass die Alte an einem bestimmten Abend mit Sicherheit alleine zu Hause sein würde. All das zusammen führt am Ende dazu, dass er hingeht und zuschlägt' Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens. München 2001, S.17 f
Bieri nimmt dieses Beispiel, gegriffen aus demk Klassiker "Schuld und Sühne" (neuerdings wird das russische Original dankenswerter und richtigerweise mit "Verbrechen und Strafe" übersetzt) des Gewaltverherrlichers Dostojwskis um anschließend in einem fiktiven Verfahren aufzuzeigen, wie Richter und Täter mit dem Problem der logischen Unabdingbarkeit des Verbrechens durch die Abwesenheit einer nichtkausalen Willensentscheidung umgehen und auf welcher Basis der Richter eine Verurteilung vornimmt, auch wenn er die moralische Unschuld des Täters anerkennen muss.
Was hier gerne verwechselt wird, ist das Paradigma der Unschuld nicht als Rechtfertigung für ein Verbrechen sondern als Erklärung einer Untat anzuerkennen. Aus meiner Sicht sollte hier scharf getrennt werden: Wenn anerkannt wird, dass Umstände und Persönlichkeitsprägungen zu Handlungen führen, kann ich auf der Basis einer Moral gar keine Bestrafungen mehr vornehmen, da sich jede Tat moralisch gleichsam rechtfertigen lässt - aus der Sicht des Täters der nicht anders konnte, ist keine einzelne Tat moralisch verwerflich - damit bleibt als Rechtfertigung einer Strafe nur die Befriedigung der Rache als Folge eines gekränkten Verständnisses von Gerechtigkeit. Stelle ich die moralische Unschuld desTäters voran, bleibt mir hingegen eine Bestrafungsoption durch die Abwägung, welches Verhalten empirisch und logisch NÜTZLICH ist und welches als schädlich und damit sanktionierbar definiert werden kann.