Diogenes: Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile - ist Dir bestimmt ein Begriff, oder?
Zur Abgrenzung von "Zufall" und "Sinn":
Wenn wir von >>Zufall<< sprechen, so meinen wir in der Regel nur, dass verschiedene Ursachenketten unerwartet und unbeabsichtigt aufeinander treffen. Wenn Ihnen beispielsweise beim morgendlichen Gang zum Bäcker ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, so ist dies ein bedauerlicher Zufall. Und doch war jenes schmerzliche Zusammentreffen von Kopf und Ziegelstein ganz gewiss kein Verstoß gegen das universelle Kausalitätsprinzip.
Zur Abkehr vom Determinismus:
Ist es demnach vielleicht so, dass - wenn Willensfreiheit nicht existiert - unsere Zukunft längst schon festgeschrieben ist und wir mit unserem Leben gewissermaßen nur noch das abarbeiten, was ohnehin nicht mehr zu ändern ist?
Nein! Auch diese Abart des Fatalismus ist keineswegs notwendigerweise mit dem Abschied von der Willensfreiheit verbunden! Denn wer eine derartige Verknüpfung herstellt, der übersieht einen fundamentalen Unterschied, der das Reich des Lebenden vom Reich des Nicht-Lebenden trennt. Leider - so muss man konstatieren - ist die Wirkungsgeschichte der von Julien Offrey de La Mettrie verwendeten Metapher vom "Mensch als Maschine" in dieser Hinsicht kontraproduktiv gewesen.
Was ist so falsch an diesem Bild? Nun, so trivial es auch klingt: Der Mensch ist nach Aufhebung der Willensfreiheit keine Maschine, sondern ein Lebewesen. Lebewesen unterscheiden sich von Maschinen, Steinen, Gebirgen oder Tischen dadurch, dass sie von einem Prinzip geprägt sind, das Nicht-Lebewesen völlig fremd ist: nämlich dem Prinzip Eigennutz. Der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Maschine besteht also nicht darin, dass der Mensch im Gegensatz zur Maschine über einen "freien Willen" verfügt, sondern darin, dass der Mensch überhaupt über einen Willen verfügt! Lebende Systeme haben Interessen, sie suchen angenehme Reize auf und vermeiden unangenehme Reize,
Inwiefern nun steht das Eigennutzprinzip der fatalistischen Vorstellung entgegen, dass schon in den Anfangsbedingungen des Universums angelegt war, wie wir heute denken, empfinden und handeln? Antwort: Weil eigennützige Systeme per se unberechenbar sind.
Leben folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als Nichtleben. Es ist ein Fehler, Lebewesen als bloß mechanische Black-Box zu betrachten, die von außen vollständig determiniert werden könnte. Jedes Lebewesen versucht notwendigweise, in jeder Situation das Beste für sich herauszuholen. Dies wiederum erfordert eine Eigenschaft, die man im Reich des Nichtlebendigen niemals antreffen wird, nämlich Kreativität.
Obige Texte frei nach
- Konrad Liessmann (Hg.): Die Freiheit des Denkens, Wien 2007
- Julien Offrey de la Mettrie nach Pia Jauch: Jenseits der Maschine, München 1998
- Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse, München 2012
Noch mal als Anmerkung: Die Absage an die Willensfreiheit ist keine Absage an die HANDLUNGSfreiheit - der Mensch ist frei zu handeln, wie er will. Er ist nicht frei zu wollen, was er will. Die Katze hat einen WILLEN, ihre Lage zu verbessern. Dieser Wille ist aber weder frei noch grundlos.