Es gibt demnach keine kulturellen Prozesse, die den grundlegenden biologischen, chemischen und physikalischen Determinanten widersprechen! Das heißt: Wenn auf emergenter Ebene (etwa der Kultur)
ein Ursachen-Wirkungs-Verhältnis vorliegt (»Die emergente
Ursache U1* erzeugt → die emergente Wirkung W1*«), so muss
ein damit korrespondierendes Ursachen-Wirkungs-Verhältnis
auch auf niederer Integrationsebene (etwa der Biologie) existieren
(»Die basale Ursache U1 erzeugt → die basale Wirkung W1«). Man
kann diesen Sachverhalt noch etwas deutlicher ausdrücken, indem
man die spezifi sche Richtung der Mikrodetermination berücksichtigt: Ohne U1 → W1 auf niederer Integrationsebene (etwa der
Bio logie) gäbe es kein U1* → W1* auf emergenter Ebene (etwa
der Kultur). U1* → W1* kann also auf U1 → W1 zurückgeführt
werden. Nur weil dies so ist, haben reduktionistische Erklärungen ihre
Berechtigung.
In »Jenseits von Gut und Böse« gibt es zahlreiche Formulierungen, die sich dieses wissenschaftlich eleganten, reduktionistischen Denkmusters bedienen. Ich zitiere zur Illustration eine
Passage aus dem zweiten Kapitel des Buchs: »Das, was uns als Personen auszeichnet, was wir denken, wie wir empfi nden, was wir
lieben und verachten, was uns erfreut und abschreckt, was wir
können und was uns beim besten Willen nicht gelingt etc. – all
dies ist bestimmt von neuronalen Prozessen, die unter unserer
Schädeldecke ablaufen, ohne dass wir dies (außerhalb eines neurologischen Labors) wahrzunehmen vermögen. (…) Wir müssen
uns daher wohl oder übel damit abfi nden, dass Gedanken, für die
es keine Hirnschaltmuster gibt, nicht gedacht und Emotionen,
die neuronal nicht abgedeckt sind, nicht empfunden werden
können.«
Man erkennt an dieser Stelle deutlich das oben erläuterte reduktionistische Erklärungsmuster: Emergente Phänomene wie
Gedanken und Emotionen (die ihrerseits emergente Wirkungen,
nämlich menschliche Handlungen, verursachen) werden zurückgeführt auf Ursachen-Wirkungs-Verhältnisse auf niederer Integrationsebene, nämlich der biochemischen Erregung und Verschaltung von Neuronen.